Bjoern Flaemig, Deventer, Netherlands
Motivation zur Auslandsphase und Entscheidung für das Zielland
Die Entscheidung, im Sommersemester 2020 ein Auslandssemester zu absolvieren, fällte ich bereits im Februar 2019. Zwar neigte sich mein Studium in Sportmanagement am RheinAhrCampus in Remagen dem Ende zu und ich hatte bereits andere Pläne für meine Praxisphasen P1 und P2. Dennoch wollte ich die Chance auf ein Semester im Ausland nutzen und bewarb mich deshalb für ein „freiwilliges Auslandssemester“.
In erster Linie bestand meine Motivation für ein Auslandssemester darin, mein mündliches Englisch zu verbessern. Zwar bin ich grundsätzlich an der Sprache sowie anderen Fremdsprachen interessiert und ich habe bereits im Vorfeld zahlreiche englische Serien gesehen bzw. englische Bücher gelesen. Jedoch konnte ich mein mündliches Englisch in der Zeit nach meinem Abitur 2015 nur sehr selten „trainieren“. Während eines Auslandssemesters, so dachte ich, würde ich den ganzen Tag zwangsläufig Englisch sprechen müssen, auch außerhalb der Vorlesungen, was sich glücklicherweise bestätigte.
Zweitens interessiere ich mich sehr für andere Länder und Kulturen. Dieses Interesse mit meinem Studium zu verknüpfen erschien mir sehr sinnvoll. Die Wahl für die Niederlande als Ort meines Auslandssemesters fiel aus dreierlei Gründen: Erstens verbrachte dort ich in meiner Kindheit zahlreiche Urlaube, so dass ich das Land und seine Einwohner in sehr positiver Erinnerung hatte und mehr darüber erfahren wollte. Zweitens war mir bekannt, dass Niederländer in der Regel ein sehr gutes bzw. gut verständliches Englisch sprechen, was sich gut mit meinem erstgenannten Motivation verknüpfen ließ. Drittens erhoffte ich mir aufgrund der Tatsache, dass sich die deutsche und niederländische Kultur mehr ähneln als beispielsweise die deutsche und eine asiatische Kultur, eine kürzere Eingewöhnungszeit.
Somit bewarb ich mich für ein Auslandssemester an der Saxion University in den Niederlanden, der einzigen niederländischen Partnerhochschule des RAC. Die Saxion besteht wie die Hochschule Koblenz aus drei Standorten (Enschede, Deventer und Apeldoorn). Zum Zeitpunkt meiner Bewerbung war noch nicht klar, in welcher Stadt ich letztendlich studieren würde. Grundsätzlich war ich jedoch offen für alle drei Städte, wobei ich Enschede aufgrund der Größe von Anfang an favorisierte.
Organisation des Auslandsaufenthaltes
Die Organisation meines Auslandssemesters erfolgte sowohl von Seiten meiner Heimathochschule als auch der Gasthochschule sehr transparent und professionell. Nachdem ich Mitte März 2019 eine Zusage für einen Studienplatz an der Saxion bekam, ging die eigentliche Vorbereitung erst rund ein halbes Jahr später mit dem Ausfüllen diverser Formulare wie dem Grant Learning Agreement los. Frau Neukirchen, meine Ansprechpartnerin von Seiten des RAC, informierte mich stets rechtzeitig und mit übersichtlichen E-Mails, die schrittweise mein Vorgehen bezüglich der diversen Formulare erläuterten. Rückfragen beantwortete sie stets freundlich und schnell.
Von Seiten der Saxion wurde mir bereits im Sommer 2019 Adrienn Eros an die Hand gegeben, die mir ebenfalls sehr schnellund transparent weiterhelfen konnte, wenn Fragen aufkamen, beispielsweise als ich im Herbst 2019 meine Kurse wählen musste.
Als feststand, dass ich in Enschede leben und studieren würde, standen mir Ansprechpartner von „Saxion Housing“ zur Verfügung, die mich im Dezember 2019 über meine Wohnung und die Miete aufklärten. Neben einer fixen Kaution hatte ich die Möglichkeit, meine Miete in Raten oder mit einer Überweisung komplett zu bezahlen.
Seitens ERASMUS erhielt ich zu Beginn meines Auslandssemesters 80% des Förderbetrages, die restlichen 20% werde ich nach dem Abschluss des Semesters erhalten. Für Stipendien oder weitere Fördergelder bewarb ich mich nicht.
In Verbindung mit meiner Anreise nach Enschede mussten keine besonderen Vorkehrungen getroffen werden (keine Impfung etc.) und keine weiteren Dokumente beantragt werden. Eine Auslandskrankenversicherung hatte ich bereits. Jedoch nahm ich meine Abstammungsurkunde sowie meinen Reisepass mit, da ich mich innerhalb von vier Wochen mit Hilfe dieser Dokumente als temporärer Einwohner in Enschede registrieren lassen musste. Zudem besorgte ich mir einen Stadtplan von Enschede.
Bevor ich mich am 05.02.2020 auf die rund zweieinhalbstündige Autofahrt von Rheinbach nach Enschede machte, vereinbarte ich mit einer Ansprechpartnerin von „Saxion Housing“ ein Treffen am selben Tag, um meinen Wohnungsschlüssel sowie weitere Schlüssel und Dokumente zu erhalten. Insgesamt war der Ablauf zwischen Bewerbung und Ankunft also sehr gut organisiert, da ich stets einen oder mehrere Ansprechpartner hatte und sich viele Fragen durch eine hohe Transparenz erübrigten.
Die Gasthochschule
Die Saxion University in Enschede lässt sich als Campus mit zahlreichen Gebäuden in unmittelbarer Nähe zueinander beschreiben. Auch das Studentenwohnheim, in dem ich wohnte, war Teil des Geländes. Gerade rund um das Wohnheim, das in den letzten fünf Jahren sukzessive aus einem ehemaligen Krankenhaus entstand, gab es einige Baustellen, die dem insgesamt schönen und modernen Aussehen der Universität nur einen kleinen negativen Beigeschmack gaben und für kaum hörbaren Lärm sorgten.
Das Hauptgebäude der Saxion in Enschede
Aussicht vom Eingang des Studentenwohnheims auf einen Teil des Campus-Geländes
Mit meinem Zimmer im ersten von sechs Stockwerken im Studentenwohnheim war ich insgesamt sehr zufrieden. Es war rund 15m2 groß und beinhaltete einen Schrank, einen großen Schreibtisch, ein Bett, ein Waschbecken samt Spiegel sowie zwei nebeneinander liegende Fenster, die sich allerdings nicht komplett öffnen ließen. Ich wohnte in einer WG mit elf anderen Personen, wobei es zwei Küchen, vier Duschen, vier WCs sowie zwei Waschräume gab, so dass wir uns nie in die Quere kamen.
Mein Zimmer im Studentenwohnheim
Die zwölf Bewohner der WG kamen aus elf unterschiedlichen Nationen mit unterschiedlichen Tagesabläufen, Speiseplänen und Definitionen von Hygiene. Insbesondere bezüglich der Hygiene sowie der Verteilung des Essens im Kühlschrank gab es vereinzelte Konflikte, im Großen und Ganzen kamen wir jedoch sehr gut miteinander aus. Hinzu kam, dass im Zuge der COVID-19 Pandemie sechs Bewohner Enschede bereits Ende März komplett verließen, so dass stets „genug Platz“ in der WG war. Anfang März veranstalteten acht Einwohner der WG ein Abendessen, bei dem jeder eine Spezialität aus seinem Heimatland servierte – ein toller Abend. Allge-mein verstand ich mich mit meinen Mitbewohnern sehr gut, so dass wir gelegentlich abends am großen Tisch zusammen saßen und erzählten bzw. Spiele spielten.
Das perfekte WG-Dinner ;-)
Am 07.02.2020, also zwei Tage nach meiner Anreise, fand ein Einführungstag für alle neuen Austauschstudenten statt, bei dem uns die Hochschule, ihre Website samt digitaler Programme wie E-Mail-Account etc. vorgestellt wurden. Außerdem fand eine Führung über den Campus sowie durch Enschede selbst statt. Sowohl an diesem Tag als auch am darauf folgenden Montag fand zudem die Veranstaltung „Drinks with peers“ im Café der Saxion statt, bei der zu typischen niederländischen Snacks Spiele zum Kennenlernen auf dem Programm stattfanden. Somit bildeten sich bereits erste Freundeskreise und ich fand leicht Anschluss.
Am Dienstag, den 11.02.2020, fand ein „Kick-off Tag“ für die diversen studentischen Projekte im Rahmen des Smart Solutions Semesters statt. Ich hatte ein solches Projekt, den Enschede Marathon, bei meiner Kursauswahl einige Monate zuvor ebenso ausgewählt wie einen Niederländisch-Kurs für Anfänger, der einmal pro Woche abends zweistündig stattfand. Am besagten „Kick-off Tag“ lernte ich meine sechs niederländischen Projektteam-Mitglieder (jeweils Vollzeitstudenten an der Saxion) sowie meine Tutorin kennen. Das Ziel des Projektes bestand darin, eine Marketingstrategie für unsere Klientin, die Vorsitzende des Enschede Marathon, zu entwickeln. Deshalb trafen wir uns als Team in den ersten vier Wochen zwei bis dreimal pro Woche in der Universität und arbeiteten an den anderen Tagen von zu Hause an dem Projekt und organisierten uns digital über eine WhatsApp-Gruppe.
Ab dem 16.03.2020 fanden aufgrund der COVID-19 Pandemie bis zum Ende des Semesters überhaupt keine persönlichen Treffen mehr statt. Stattdessen trafen wir uns nun mehrmals pro Woche auf der Plattform „Microsoft Teams“ (s. Seite 1) und konnten trotz der besonderen Situation weiter an unserem Projekt arbeiten. Allerdings musste das Ziel des Projektes neu definiert werden, da unsere Klientin nur noch bedingt mit uns zusammenarbeiten konnte. Somit entschieden wir uns, ein eigenes digitales Sportevent, den Saxion MaratHOME, zu organisieren, an dem alle Menschen von zu Hause aus teilnehmen konnten. Unsere Idee wurde ein überraschend großer Erfolg, der sogar in der lokalen niederländischen Presse Erwähnung fand. Zudem wurden wir auf YouTube und im niederländischen Radio über das Event interviewt – ein schönes Erlebnis, das ohne die Pandemie wohl nie möglich gewesen wäre! Am Ende des Semesters trafen wir uns zum ersten Mal nach rund drei Monaten an einem Abend zum Pizza essen und werden definitiv in Kontakt bleiben, weil uns die letzten Monate und die besondere Situation mehr als zusammengeschweißt haben.
Der Niederländisch-Kurs für Anfänger, der in den ersten Wochen noch „face-to-face“ in einem kleinen Kurs von 18 Teilnehmern stattfand, wurde trotz Corona ebenfalls digital fortgesetzt. Auf der Lernplattform „Blackboard“ konnten wir unserer Dozentin zuhören und mit ihr chatten bzw. sprechen. Zudem konnte sie uns für einzelne Übungen in kleinere Gruppen aufteilen. Der Kurs hat mir unglaublich viel Spaß gemacht, da ich großen Gefallen an der niederländischen Sprache gefunden habe und deshalb auch nach dem Auslandssemester weiter daran arbeiten werde.
Während des Semesters stand mir Adrienn Eros stets zur Seite, wenn Fragen aufkamen, insbesondere in Verbindung mit Corona. Doch nicht nur von Frau Eros erhielt ich zwischen Ende März und Anfang Juli fast täglich E-Mails mit „Corona-Updates“, so dass ich stets auf dem neuesten Stand über die Situation in den Niederlanden bzw. an der Saxion war. Zudem bot die Saxion in den Anfängen von Corona das Programm „Saxion Buddy Box“ speziell für internationale Studenten an. Dabei wurde jedem Studenten, der das Programm in Anspruch nehmen wollte, ein Dozent oder erfahrener Student als „Buddy“ zur Seite gestellt, mit dem man sich austauschen und z.B. digitale Spiele spielen konnte.
Ich selbst kehrte am 13.03.2020 aufgrund der Pandemie nach Deutschland zurück und blieb dort bis zum 31.05. Danach verbrachte ich sozusagen den zweiten Teil meines Auslandssemesters bis zum 15.07. in Enschede.
Das Leben im Gastland
Die Niederlande sind als „Land der Fahrräder“ bekannt. Nach meinem Auslands-semester kann ich diese Aussage mehr als bestätigen. Zwar bin ich mit dem Auto von Deutschland angereist, habe es letztendlich aber nur sehr selten, z.B. für größere Ausflüge innerhalb des Landes, genutzt. Bereits wenige Tage nach meiner Ankunft kaufte ich mir in einem Second Hand-Shop ein gebrauchtes Fahrrad samt Schloss für lediglich 35€. Damit erledigte ich meine Einkäufe oder machte Ausflüge, so dass ich auf mein Auto nicht mehr angewesen war. Dies lag vor allem auch daran, dass die Wege in Enschede sehr kurz waren. Zur Universität konnte ich zu Fuß gehen und in die Innenstadt samt Bars, Restaurants und Geschäften benötigte ich nur drei Minuten. Bezüglich eines Fahrrads kann ich alternativ den in den Niederlanden verbreiteten Fahrradverleih „Swapfiets“ empfehlen, wo man als Student günstig Räder mieten kann, die zudem vom Verleih bei Bedarf repariert werden. Das Markenzeichen der „Swapfiets“-Räder ist der blaue Vorderreifen, an dem man sie schnell erkennt. Zahlreiche meiner Kommilitonen nahmen das Angebot von Swapfiets wahr.
A Swapfiets bike in a typical Dutch landscape near Enschede
The prices in the Netherlands are usually slightly higher than in Germany. This is particularly true of gasoline, which is up to 30 cents per liter more expensive. That's why I always went to Gronau / Westphalia to refuel, right on the border with the Netherlands. You can shop cheaply in the German discounters ALDI and LIDL, which are also represented in Enschede.
Typisch niederländisch und damit auch für Enschede sind neben Tulpen, Windmühlen, Backsteinhäusern, Coffee-Shops, Holzschuhen und flachem Land vor allem die alten Marktplätze, meistens in der Nähe einer Kirche. Hier trifft sich der Niederländer typischerweise nach der Arbeit zum „borrelen“, also für Snacks und Drinks. Deshalb sind die Bars und Restaurants auch unter der Woche gerade abends ziemlich voll. Da die Auswahl jedoch groß ist, findet man immer einen Platz.
Von Corona bekam ich im Vergleich zum Leben in Deutschland relativ wenig mit. Eine Maskenpflicht bestand nur in den öffentlichen Verkehrsmitteln, die ich sehr selten nutzte. In den Supermärkten gab es beispielsweise nur einen Automaten, um die Hände zu desinfizieren sowie vereinzelte Hinweise, dass man 1,5 Meter Abstand zueinander halten solle. Daran gehalten wurde sich allerdings nicht immer.
Trotz der Pandemie konnten wir am Ende des Semesters glücklicherweise einige Ausflüge machen. Meine erste Empfehlung hierbei ist Münster, das zwar in meinem Heimatland Deutschland liegt, aber durch eine Direktverbindung in 70 Minuten mit dem Zug erreichbar und damit ein attraktives Ziel für einen Tagesausflug ist.
Ausflug nach Münster
Neben den typischen Reisezielen Amsterdam und Den Haag mit Scheveningen kann ich vor allem Groningen, Deventer und Rottderdam empfehlen. Groningen liegt weit im Norden der Niederlande und ist gut 1,5 Stunden mit dem Auto von Enschede entfernt. Dennoch lohnt sich die Fahrt vor allem wegen des Martiniturms, des Kanals, der die Stadt umschließt und des malerischen kleinen Hafens. Deventer ist nur gut eine halbe Stunde entfernt von Enschede und ist einer der drei Standorte der Saxion. Der Ort ist zwar etwas kleiner als Enschede, liegt aber an einem Fluss (der Ijssel) und besticht vor allem durch seine pittoresken Gassen mit Fachwerk- und Backstein-häusern, in denen viele Einzelhändler ihre Waren anbieten. Die Hafenstadt Rotterdam ist alleine aufgrund seiner Größe natürlich ein anderes Kaliber als Enschede und hat (untypisch für die Niederlande) viele hohe und moderne Gebäude.
Ausflug nach Groningen
Fazit
Zusammengefasst lässt sich mein Auslandssemester an der Saxion University in Enschede trotz der außergewöhnlichen Situation aufgrund von COVID-19 als voller Erfolg bezeichnen. Vor allem konnte ich mein primäres Ziel, mein mündliches Englisch zu verbessern, definitiv erreichen.
Darüber hinaus konnte ich eine Menge lernen: Ich lernte wie es ist, über einen längeren Zeitraum im Ausland zu leben, ich lernte viele neue Menschen unterschiedlichen Alters und unterschiedlicher Herkunft kennen, ich lernte mich schnell einer neuen Situation innerhalb meines Projektes anzupassen und trotzdem das Beste daraus zu machen sowie mit Niederländisch eine neue Sprache, die mir sehr viel Freude bereitete.
Gleichzeitig bin ich meinen Ansprechpartnern vom RheinAhrCampus sowie der Saxion sehr dankbar für die einwandfreie Organisation, so dass ich mich auch während der Pandemie nie allein gelassen gefühlt habe.
Die Highlights des Auslandssemesters waren für mich persönlich die Organisation des Saxion MaratHOME, bei der uns von Seiten der Saxion unheimlich viel Freiraum und Vertrauen gegeben wurde, sowie die zahlreichen Städtetrips, die vor allem am Ende des Semesters stattgefunden haben. Es wäre schade gewesen, wenn ich ein Auslandssemester in den Niederlanden absolviert hätte ohne viel vom Land gesehen zu haben. Glücklicherweise war dies letztendlich trotz Corona im kleinen Umfang möglich. Schließlich bin ich froh, unter meinen Kommilitonen teilweise Freunde für das ganze Leben gefunden zu haben, mit denen ich unbedingt in Kontakt bleiben und sie eines Tages in ihren Heimatländern besuchen möchte!
Sonstiges
Keine weiteren Anmerkungen.